«Die Welt ist gegen Sie, Mr. Bush!»
Der amerikanische Dokumentarfilmer Michael Moore («Bowling for Columbine») hat am Vorabend des Irak-Kriegs einen offenen Brief an George W. Bush geschrieben.

Von Michael Moore

Herrn George W. Bush
1600 Pennsylvania Ave.
Washington, DC



Montag, 17. März 2003

Sehr geehrter Gouverneur Bush

Heute also ist der von Ihnen so genannte «Augenblick der Wahrheit» gekommen, der Tag, an dem «Frankreich und der Rest der Welt die Karten auf den Tisch legen müssen». Es freut mich, dass dieser Tag endlich gekommen ist. Denn ich muss Ihnen sagen: Nach 440 Tagen Lügereien und Hinterhältigkeiten Ihrerseits war ich nicht mehr sicher, ob ich noch mehr aushalten könnte. Es freut mich deshalb, dass heute der Tag der Wahrheit ist, denn ich habe ein paar Wahrheiten auf Lager, die ich Ihnen gern mitteilen würde:

1. Es gibt in den USA praktisch NIEMANDEN (Talk-Radio-Spinner und die Fox News ausgenommen), der scharf darauf wäre, in den Krieg zu ziehen. Das können Sie mir glauben. Gehen Sie doch mal aus dem Weissen Haus auf irgendeine Strasse in den USA und versuchen Sie, fünf Leute zu finden, die LEIDENSCHAFTLICH GERN Iraker umbringen möchten. SIE WERDEN SIE NICHT FINDEN! Warum? Weil KEINE Iraker je hierher gekommen sind und einen von uns umgebracht haben! Kein Iraker hat auch nur gedroht, dies zu tun. Wissen Sie, wir Durchschnittsamerikaner sehen die Dinge halt so: Wenn wir jemanden nicht als Bedrohung für unser Leben empfinden, dann - ob Sies glauben oder nicht - möchten wir ihn nicht umbringen! Komisch, was?

2. Die Mehrheit der Amerikaner - also alle die, die Sie nicht gewählt haben - fällt auf Ihre Massenverwirrungswaffen nicht herein. Wir wissen, was für unser tägliches Leben wirklich von Belang ist, und nichts davon beginnt mit I und endet mit k. Tatsächlich bedrohlich für uns ist vielmehr Folgendes: Seit Ihrem Amtsantritt sind zweieinhalb Millionen Arbeitsstellen verloren gegangen; die Börse ist nur noch ein grausamer Witz; keiner weiss mehr, ob seine Pensionsgelder einst auch vorhanden sein werden; Benzin kostet zurzeit fast zwei Dollar - die Liste liesse sich beliebig verlängern. Die Bombardierung des Irak wird nichts davon zum Verschwinden bringen. Nur wenn Sie verschwinden, kann es besser werden.

3. Wie Bill Maher letzte Woche sagte: Wie mies muss einer sein, um in einem Beliebtheitswettbewerb gegen Saddam Hussein zu unterliegen? Die ganze Welt ist gegen Sie, Mr. Bush. Dazu zählen auch Ihre amerikanischen Mitbürgerinnen und Mitbürger.

4. Der Papst hat gesagt, dieser Krieg sei falsch, er sei eine SÜNDE. Der Papst! Noch schlimmer: Jetzt haben sich auch noch die Dixie Chicks gegen Sie ausgesprochen! Wie viel schlimmer muss es noch werden, bis Sie begreifen, dass Sie in diesem Krieg eine Armee sind, die aus einem einzigen Mann besteht? Allerdings ist das ein Krieg, in dem Sie persönlich ja nicht kämpfen müssen. Wie damals, als Sie sich verdünnisierten, während die Söhne armer Leute nach Vietnam verfrachtet wurden.

5. Von den 535 Kongressmitgliedern hat EIN EINZIGES (Senator Johnson aus Dakota) einen Sohn oder eine Tochter in der Armee! Wenn Sie sich wirklich für Amerika stark machen wollen, schicken Sie bitte Ihre beiden Zwillingstöchter sofort nach Kuwait, wo sie ihre ABC-Kriegs-Schutzanzüge anziehen können. Gern möchten wir miterleben, wie jedes Kongressmitglied seine Kinder im wehrpflichtigen Alter für diesen Krieg opfert. Was sagen Sie? Das komme nicht in Frage? Wissen Sie was? Das sehen wir genauso!

6. und letztens: Wir lieben Frankreich. Klar haben die öfter mal grossen Mist gebaut. Klar können einem manche verdammt auf die Nerven gehen. Aber haben Sie vergessen, dass wir ohne die Franzosen dieses Amerika genannte Land schlicht nicht hätten? Dass wir unseren Revolutionskrieg dank ihrer Hilfe gewonnen haben? Dass unsere grössten Denker und Gründerväter - Thomas Jefferson, Ben Franklin usw. - viele Jahre in Paris verbrachten, wo sie jene Konzepte verfeinerten, aus denen unsere Unabhängigkeitserklärung und unsere Verfassung hervorgingen? Dass uns Frankreich unsere Freiheitsstatue gab, dass ein Franzose den Chevrolet konstruierte und ein französisches Brüderpaar den Film erfand? Jetzt tun sie das, was nur ein guter Freund kann: einem die Wahrheit sagen über einen selbst, geradeheraus, ohne Fisimatenten. Hören Sie auf, die Franzosen anzupissen, und danken Sie ihnen vielmehr, dass sie diesmal den Nagel auf den Kopf getroffen haben. Wissen Sie, Sie hätten wirklich mehr Reisen unternehmen müssen (eine zumindest), bevor Sie Ihr Amt antraten. Weil Sie von der Welt keine Ahnung haben, sehen Sie nicht nur dumm aus, sondern haben sich in eine Ecke manövriert, aus der Sie nicht mehr rauskommen.

Doch Kopf hoch: Es gibt auch gute Nachrichten. Wenn Sie diesen Krieg tatsächlich führen, wird er wahrscheinlich schnell vorbei sein, denn ich glaube nicht, dass eine Menge Iraker bereit sind, zum Schutz von Saddam Hussein ihr Leben zu opfern. Nachdem Sie den Krieg «gewonnen» haben, werden Sie in den Beliebtheitsumfragen einen Riesensprung machen, denn Sieger sind immer beliebt, und wer schaut nicht gern zu, wenn mal einem der Arsch versohlt wird (vor allem wenn es sich um einen Arsch aus der Dritten Welt handelt). Versuchen Sie also, aus diesem Sieg so viel wie möglich herauszuschlagen bis zu den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr. Das dauert allerdings noch lange, und so werden wir noch einiges zu lachen haben, während die Wirtschaft immer weiter den Bach runtergeht!

Aber he, wer weiss: Vielleicht finden Sie wenige Tage vor den Präsidentschaftswahlen ja Osama! Eben! Versuchen Sie mal, so zu denken! Die Hoffnung am Leben erhalten! Iraker töten - die haben unser Öl! Mit freundlichen Grüssen Michael Moore
Copyright: Michael Moore. Aus dem Amerikanischen von Thomas Bodmer.
www.michaelmoore.com

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Zur Person

Michael Moore
, geboren 1954, ist ein scharfzüngiger Kritiker der amerikanischen Verhältnisse und berühmt für Dokumentarfilme, in denen er mit investigativer Hartnäckigkeit rücksichtslose Firmenbosse und opportunistische Politiker attackiert. Seine letzte Arbeit, «Bowling for Columbine», ein Film gegen die amerikanische Waffenlobby, ist dieses Jahr für den Dokumentarfilm-Oscar nominiert. (TA)

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